Im Wirtschafts-Konzept von Christian Lindner stehe viel Richtiges, sagt Ökonom Holger Schmieding. Doch durchsetzbar sei es so nicht. Ein Gespräch über die Ideen der Ampel-Minister.Herr Schmieding, erst im Sommer hatte die Bundesregierung mit der Wachstumsinitiative ein Konjunkturpaket geschnürt. Nun überbieten sich die Ampel-Beteiligten schon wieder mit neuen Rettungskonzepten. Ist die Lage der deutschen Wirtschaft denn noch dramatischer als im Sommer?
Nein, die Lage ist nicht dramatischer als vor ein paar Monaten. Es gibt sogar erste Anzeichen, dass sich die Situation stabilisiert. Stattdessen ist es offenbar so, dass in der Regierung die Erkenntnis, dass etwas getan werden muss, stärker verbreitet ist als noch im Sommer. Allerdings gehen die Konzepte halt auseinander.Reichen die immerhin 49 Maßnahmen der Wachstumsinitiative denn nicht? Sie hatten ja damals gefordert, man sollte deren Wirkung erst einmal abwarten.
Die Wachstumsinitiative ist wirklich ein guter Schritt, wenn sie komplett umgesetzt wird. Aber mehr wäre natürlich besser.Schmieding BioWieso?
Weil wir längerfristige Standortprobleme in Deutschland haben. Es braucht beispielsweise eine Senkung der Unternehmenssteuern; wir müssen weiter versuchen, bürokratische Lasten abzubauen; und vor allen Dingen ist eine Korrektur der Politik nötig, die zu höheren Lohnnebenkosten führt.Dann lassen Sie uns die konkurrierenden Konzepte einmal im Detail besehen. Was halten Sie von dem Papier von Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck?
Ich finde es insgesamt gut, deutlich mehr tun zu wollen, um Investitionen zu fördern. Am besten wäre es dafür, die Steuerlast für alle Unternehmen zu senken. Wenn man wie Habeck stattdessen Investitionen gezielt fördern will, ist das auch gut, insofern der Staat dann nicht versucht, die Investitionen zu lenken und zu sagen: Das gilt nur für diese oder jene Investition. Eine allgemeine Investitionsförderung wäre also immerhin eine diskutable zweitbeste Lösung. Wobei es da immer den Verdacht gibt, dass das nur für einige Zeit sein könnte – dafür hat man bei einer Senkung der Unternehmenssteuern mehr Mitnahmeeffekte. Letztlich stärkt das aber das Vertrauen in den Standort und damit dauerhaft die Investitionsbereitschaft.Wir brauchen weniger Einfluss der Ministerien oder des Staates auf Entscheidungen, sondern im Prinzip einfach nur bessere Rahmenbedingungen.Das klingt, als ob das dagegen stehende Konzept von Finanzminister Christian Lindner (FDP) für Sie in die richtige Richtung gehen würde.
Das geht sehr weit in die richtige Richtung. Es geht weiter in die richtige Richtung als ich mir vorstellen kann, dass man es unter jeder denkbaren politischen Konstellation in Berlin durchsetzen könnte. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass man das mit CDU und CSU, geschweige denn mit einer Mitte-Links-Partei wie den Grünen oder der SPD umsetzen könnte. Selbst bei der Union hätte ich da Zweifel, ob der Sozialflügel oder Herr Söder wirklich alles mitmachen würde.Warum? An was denken Sie da konkret?
Wenn man verhindern will, dass die Sozialausgaben weiter ansteigen, bedeutet das ja zum Beispiel letztlich Einschnitte beim Bürgergeld. Ob das politisch geht, da habe ich Bedenken. Das Papier ist mit einer glasklaren liberalen Haltung geschrieben, die wirtschaftlich sinnvoll ist, aber nicht mit Blick auf politische Durchsetzbarkeit verfasst wurde, sondern um die liberale Position einmal klarzustellen.Abgesehen von der Frage der Umsetzbarkeit: Was wären die potenziell wirkmächtigsten Hebel im Lindner-Konzept?
Wie gesagt: Unternehmenssteuern runter, Anstieg der Lohnnebenkosten verhindern und beim Bürgergeld bessere Anreize setzen. Die Sozialversicherungsbeiträge nicht steigen zu lassen und damit das Rentenpaket II aufzukündigen, was diese Haltelinie ja verraten hat. Das sind vor allem Anreize für mehr Arbeit – also sehr wirkmächtige Dinge.Weglaufen Gilt nicht Ampel-Roundup. 16.30Lindner geht ja davon aus, dass allein eine Veränderung der Rahmenbedingungen zu mehr Investitionen und einer Belebung der Konjunktur sorgen würde. Aber braucht es nicht auch Elemente aus der Habeck-Welt, vor allem einen investierenden Staat?
Sagen wir es mal so: Ich bezweifle, dass es möglich sein wird, die staatlichen Investitionen und vor allen Dingen die Militärausgaben auf dem Niveau des Nato-Ziels mit zwei Prozent der Wirtschaftsleistung zu halten, ohne dass wir an der Schuldenbremse etwas tun. Ich glaube, da drücken sich die FDP und Teile der CDU vor der Erkenntnis, dass die Einschnitte, die man bei anderen staatlichen Ausgaben machen müsste, um all das bei gleichzeitig geringeren Unternehmenssteuern zu finanzieren, unrealistisch sind. Und das aus zwei Gründen: Erstens, weil im Zweifel nicht die gesamte Union da mitmachen würde; zweitens, weil es sein könnte, dass ein solches Programm weitere Wähler zu den Randparteien triebe, die ja unter anderem damit werben, dass sie für mehr Sozialleistungen seien.Also ist das das größte Manko des Lindner-Papiers, dass seine Finanzierbarkeit ausgeklammert wird?
Das ist für mich ein großes Manko. Ich halte es so für letztlich politisch nicht durchsetzbar. Warum? Das Konzept ist für mich eine Absichtserklärung, aber eben nicht etwas, von dem man erwarten kann, dass es realistisch in Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU, geschweige denn mit SPD oder Grünen, irgendwann in der Zukunft durchsetzbar wäre. Ich glaube, dass es letztlich eine Art Kompromiss geben muss in dem Sinne, dass Union und FDP bei der Schuldenbremse mehr Spielraum zugestehen, der dann allerdings überwiegend für Investitionen und das Militär genutzt wird und nicht für Sozialausgaben; und dass sich die Mitte-links-Parteien gleichzeitig stärker beim Bürgergeld, der Rente mit 63 und all diesen Dingen bewegen müssen. Ich glaube, auf Dauer ist ein solcher Kompromiss nicht zu umgehen. In Sachen Klimaschutz schlägt Lindner vor, dass wir uns im Wesentlichen auf einen CO2-Preis verlassen und die Detailsteuerung des Staates mehr oder weniger unterlassen sollen. Findet das Ihre Zustimmung?
Herr Lindner hat da völlig recht. Wenn der CO2-Preis tatsächlich auf die größten Teile von Wirtschaft und Gesellschaft ausgedehnt wird, wie es ja vorgesehen ist, dann könnten und sollten wir in diesen Bereichen auch auf jede Detailsteuerung verzichten. Ob wir die Klimaschutzziele aber von 2045 auf 2050 zurückverlegen sollten, ist eine andere Frage, die politisch zu diskutieren wäre. Und wo ich eher sagen würde, das wäre das falsche Signal. Das wäre auch nicht das Signal, das für die Wirtschaft entscheidend wichtig ist. Was für Signale sendet eigentlich der Dauerstreit um die richtige Wirtschaftspolitik?
Einerseits sind die jetzigen Debatten ausgesprochen schädlich für die Konjunktur – die Unsicherheit über die künftige Wirtschaftspolitik ist eine wesentliche Wachstumsbremse geworden, sie behindert Investitionen und Ausgaben. Unsicherheit ist schädlich. Zum anderen ist aber auch richtig: Wir brauchen eine andere Weichenstellung. Es wäre halt schön, wenn wir möglichst schnell dazu kämen. Aber dass SPD und Grüne beim Lindner-Plan mitgehen, ist doch undenkbar.
Also ich würde die beiden Papiere versuchen zusammenzunehmen und da einen Kompromiss zu schneidern. Es muss ja keine vollständige Umsetzung der Lindner-Ideen sein, auch Habeck hat durchaus Recht, dass wir etwas für Investitionen tun müssen. Anders gesagt: Das Land braucht einige Änderungen und je eher die kommen, desto besser. Es muss keines der beiden Papiere voll umgesetzt werden.Gibt es irgendeine Chance, dass die Ampel im aktuellen Zustand so etwas hinbekäme?
Wahrscheinlich nicht in dem Umfang, den Habeck beziehungsweise Lindner für ihre Programme im Kopf haben. Aber dass es noch Möglichkeiten gibt, sich zu einigen, das halte ich für denkbar.Wenn die Regierungskoalition nicht vorher platzt…
Das Risiko, dass die Koalition in den nächsten Tagen auseinanderfliegt, ist nicht unerheblich. Aber ich würde nicht sagen, dass es eindeutig in die Richtung gehen muss. Man darf nicht vergessen: Sollte es zu vorgezogenen Neuwahlen kommen, steht für alle Beteiligten viel auf dem Spiel – die FDP-Abgeordneten eingeschlossen.
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Author : Niklas Wirminghaus
Publish date : 2024-11-05 10:10:00
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